Diversität und Vielfalt an (Berufs-)Schulen

Ein Gastbeitrag von Claudia Schönsee von „Vielfalt entfalten – Gemeinsam für starke Schulen“

Mit der Vision „Alle Schüler*innen erhalten durch eine diversitätssensible Pädagogik gleiche Bildungschancen. Soziale und kulturelle Vielfalt wird in Schulen als Ressource gesehen und genutzt. Schüler*innen erleben Schule als einen Ort, an dem sensibel gehandelt wird und sie Schutz vor Diskriminierung erfahren“ startete die Deutsche Kinder- und Jugendstiftung (DKJS) 2019 das Projekt „Vielfalt entfalten – Gemeinsam für starke Schulen“. Bis zum Sommer 2023 wurde hierfür in 4 Bundesländern mit insg. 60 Schulen in langfristigen Begleitprozessen gearbeitet. Darüber hinaus wurde eng mit der Lehrkräfteaus- und -weiterbildung sowie der Bildungsverwaltung in den teilnehmenden Bundesländern zusammengearbeitet.

Im Rahmen der schulischen Begleitarbeit wurden die drei Ebenen der Schulentwicklung – Personal-, Unterrichts- und Schulentwicklung – in den Blick genommen. Inhaltlich wurde der intersektionale Ansatz verfolgt, wobei besonders die Dimensionen rund um Rassismus- und Klassismus im Fokus standen. Die Aspekte rund um Diversität und (Anti-)Diskriminierung wurden also bewusst strukturell in den Blick genommen und als Querschnittsthema nicht auf einzelne Fächer, Personen oder Arbeitsgemeinschaften beschränkt.

Viele Pädagog*innen und Lehrkräfte erleben eine wachsende Heterogenität in der Schule noch immer als Herausforderung – teils sogar als Belastung. Dies zeigt: Diversitätskompetenz von Lehrkräften und pädagogischem Personal kommt nicht nur allen Schüler*innen einer Schule zugute, sondern entlastet auch die erwachsenen Begleitpersonen in ihrem Alltag. Auch im Rahmen der Befragungen durch die wissenschaftliche Evaluation des Projekts zeigt sich: Das Belastungsgefühl der befragten Kollegien hat im Laufe des Projekts abgenommen. Gerade zu Beginn der Arbeit mit der Praxis wurde die konstruktive Auseinandersetzung mit Diversität, das Arbeiten an der eigenen Haltung und dem eigenen Handeln noch an vielen Stellen als „Zusatzaufgabe“ betrachtet, die Zuständigkeit wurde häufig bei einzelnen Lehrkräften oder z.B. der Schulsozialarbeit gesehen. Doch hier sprechen die Schulgesetze der Länder eine klare Sprache und auch der gemeinsame Beschluss der Kultusminister- und Hochschulrektorenkonferenz von 2015 besagt, dass „die Gestaltung von Schulen, in denen Vielfalt als Normalität und Stärke anerkannt und wertgeschätzt wird“ (KMK & HRK, 2015, S. 2)[1], Aufgabe aller Schulen ist. Der Beschluss bezieht sich auf unterschiedliche Dimensionen von Vielfalt, z. B. Sprache, kulturelle Herkunft, religiöse Orientierungen, soziale Lebensbedingungen, Geschlecht, Behinderung und besonderer Begabungen.

 

Diversitätsorientierte Schulentwicklungsvorhaben

Die Arbeit mit den Schulen gestaltete sich in der Praxis so, dass, unterstützt durch das Projektteam und Prozessbegleitungen, von den Schulen selbstgewählte Schulentwicklungsvorhaben im Zuge der Begleitarbeit verwirklicht wurden. Zusätzlich erhielten die Kollegien der Projektschulen Fortbildungs- und Sensibilisierungsangebote. Im Rahmen von schulischen Entwicklungsnetzwerken stellte außerdem das Voneinander Lernen einen wichtigen Baustein der Projektangebote dar. Zusätzlich wurden vom Projektteam Materialien entwickelt, welche über die Website (externer Link) zur Verfügung stehen. Wichtig bei allen Vorhaben war, dass sie sich entweder an bereits bestehende Schulentwicklungsprozesse andocken oder diese sinnvoll ergänzten.

 

Ergebnisse der externen Evaluation und Ableitungen aus den Projekterfahrungen

Wie schon erwähnt wurde das Projekt wissenschaftlich begleitet und evaluiert. Außerdem wurden von Seiten des Projektteams zentrale Erkenntnisse und Erfahrungen zusammengetragen.

Gelingensbedingungen und Handlungsempfehlungen aus der Evaluation für Schulen, die sich selbst diversitätsorientiert weiterentwickeln möchten und für Projekte oder Akteure, die hierbei unterstützen möchten, sind:

Das konkrete Schulentwicklungsvorhaben…

  • wird aufgrund konkreter Bedarfe als bottom-up initiiert.
  • wird professionsübergreifend umgesetzt und im besten Fall durch ein multiprofessionelles Team gesteuert.
  • hat eine klare Struktur.
  • nutzt bereits vorhandene Ressourcen.
  • berücksichtigt die Bedarfe.

Das Steuerungsteam für das Schulentwicklungsvorhaben…

  • organisiert (verpflichtende) Veranstaltungen.
  • informiert regelmäßig über den Umsetzungsstand.
  • verdeutlicht den Mehrwert des Vorhabens.
  • verfolgt den Fortschritt.

Die Schule…

  • hat ein gemeinsames Verständnis vom Schulentwicklungsprojekt.
  • hat ein Vertrauensverhältnis (oder stellt dies her), dass die Bearbeitung eines potenziell schambehafteten Themas erlaubt.
  • schafft externe Verbindlichkeit (z.B. durch Ankündigungen auf der Website, Schulversammlungen o.ä.).
  • lernt von anderen Schulen und Systemen.
  • bindet außerschulische Expert*innen und Partner*innen ein.
  • nutzt Projektstrukturen als Unterstützung.

Der gesamte Evaluationsbericht ist hier (externer Link) zu finden.

Die Erkenntnisse und Erfahrungen aus der Arbeit im Projektteam wurden im Rahmen von Ausstellungsplakaten zusammengefasst und mit Materialien und Stimmen von Expert*innen untermauert. Diese lassen sich in acht zentrale Thesen zusammenfassen, welche alle Aspekte des Bildungssystems – ausgehend vom einzelnen Kind / vom einzelnen Jugendlichen bis hin zur Rolle der Bildungsverwaltung oder gesetzlichen Grundlagen – in den Blick nimmt und Anregungen zur Veränderung geben:

  • Diversität ist gesellschaftliche Realität und ein Querschnittsthema, das sämtliche Bereiche der Schulentwicklung betrifft. Es braucht ein Umdenken schulischen Handels auf struktureller und sprachlicher Ebene.
  • Für eine diskriminierungskritische Schule müssen bestehende rechtliche Grundlagen verändert und neue geschaffen werden.
  • Gleichstellungs- und Antidiskriminierungsdaten bieten eine unerlässliche Grundlage für eine diversitätssensible und diskriminierungskritische Schulentwicklung.
  • Diversitätsorientierte Schulentwicklung braucht fachliche Expertise (von außen).
  • Die Rolle der Schulleitung ist ein wesentlicher Faktor zum Gelingen diversitätssensibler Schulentwicklung und benötigt eine entsprechende Unterstützung und Qualifizierung durch die Bildungsverwaltung.
  • Eine diverse Schule setzt eine diversitätssensible Personalentwicklung voraus.
  • Diversitätssensible und diskriminierungskritische Schulentwicklung braucht passende Instrumente der Qualitätsentwicklung.
  • Auf Basis einer diversitätssensiblen und diskriminierungskritischen Schulentwicklung ist eine entsprechende Ausbildung und Qualifizierung von pädagogischen Fach- und Lehrkräften.

Die als interaktive Ausstellung aufbereiteten Thesen stehen hier (externer Link) zum Download bereit.

Die Erkenntnisse, Ergebnisse, Handlungsempfehlungen und entwickelten Module richten sich an alle teilnehmenden Schulen, unabhängig von der Schulform. Da die umgesetzten Entwicklungsvorhaben sich jeweils an den Bedarfen sowie Ressourcen der jeweiligen Schule orientierten, waren diese ebenfalls sehr vielfältig und in vielen Fällen nicht auf eine bestimmte Schulform begrenzt – von der Einrichtung von Anlaufstellen für Diskriminierungsfälle innerhalb der Schule über eine verstärkt auf Mehrsprachigkeit orientierte Gestaltung des Unterrichts oder gezielte Maßnahmen zur Personalentwicklung. Einen Eindruck hierüber gibt eine Multimediareportage (externer Link).

Wesentlich für gelingende Veränderungsprozesse waren aber immer die engagierten und aufgeschlossenen Lehrkräfte, Pädagog*innen, Schulleitungen – die bereit waren, miteinander zu lernen, eigene Handlungsmuster zu hinterfragen und (selbst-)kritisch an ihrer eigenen Haltung zu arbeiten. Suchen Sie sich Verbündete und Unterstützung von außen: Diversitätsorientierte Schulentwicklung fühlt sich für viele nach komplexem Neuland an. Doch mit jedem Schritt leisten wir gemeinsam einen kleinen aktiven Beitrag zu mehr Bildungsgerechtigkeit.

 

 

Angaben zur Person: Claudia Schönsee ist Managerin für Bildungsprojekte bei der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung und hat die Umsetzung des Projekts in Brandenburg und im Rahmen der Transferphase mitverantwortet. Die Deutsche Kinder- und Jugendstiftung (DKJS) setzt sich dafür ein, dass junge Menschen in unserem Land gut aufwachsen können. Dafür stößt sie Veränderungsprozesse an: in Kindergärten und Schulen, beim Übergang in den Beruf, in der Familien- oder lokalen Jugendpolitik. „Vielfalt entfalten – Gemeinsam für starke Schulen“ war ein Projekt der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung und wurde gefördert von der Stiftung Mercator.

 


[1] KMK & HRK (2015). Lehrerbildung für eine Schule der Vielfalt. Gemeinsame Empfehlungen von Hochschulrektorenkonferenz und Kultusministerkonferenz. KMK & HRK. URL: https://www.kmk.org/fileadmin/veroeffentlichungen_beschluesse/2015/2015_03_12-Schule-der-Vielfalt.pdf.