„Unsere Forschung zeigt, dass Demokratieförderung in der Arbeitswelt eng mit der Demokratisierung der Arbeit verbunden ist.“

Ein Gespräch mit Andre Schmidt über Diskriminierung als Demokratiegefährdung und Möglichkeiten der Demokratisierung von Arbeit

1. Herr Schmidt, in Ihren Studien[1] haben Sie mögliche Zusammenhänge zwischen Erfahrungen der Menschen am Arbeitsplatz und demokratiefeindlichen Einstellungen untersucht. Welche Schlüsse können Sie aus den Ergebnissen ziehen?

Seit 2020 untersuchen wir, inwieweit Beschäftigte im Betrieb Erfahrungen von demokratischer Handlungsfähigkeit machen und sich als Arbeitsbürger erleben. In repräsentativen Befragungen in Deutschland fragen wir: Können Beschäftigte mitbestimmen, zum Beispiel durch Betriebsräte und Gewerkschaften. Haben sie das Gefühl, im Unternehmen auch etwas verändern zu können? Können sie den eigenen Arbeitsalltag mitgestalten. Haben sie als einzelne – aber auch kollektiv als Team oder Belegschaft – ein Mindestmaß an Kontrolle im Arbeitsalltag oder erleben sie sich vorwiegend als fremdbestimmt?

Dabei hat sich gezeigt, dass Erfahrungen von demokratischer Handlungsfähigkeit am Arbeitsplatz rechtsextreme und menschenfeindliche Ansichten verringern. Sie gehen zudem mit größerer Zustimmung zur Demokratie einher und mit größerem Optimismus, auch in der Politik Einfluss nehmen zu können.

Zuletzt ist das Handlungsfähigkeitserleben in der Arbeitswelt insbesondere in Ostdeutschland eingebrochen. Die ökonomische Krise scheint den Druck in den Betrieben erhöht zu haben und Freiheitsgrade der Beschäftigten wurden zurückgenommen. Der Rückgang kann auch darauf verweisen, dass die sinkenden Reallöhne und prognostizierten Wohlstandsverluste in Deutschland die Beschäftigten pessimistischer auf den Arbeitsalltag blicken lassen. Das kann demokratiepolitische Folgekosten haben.

 

2. Welche Möglichkeiten gibt es Ihrer Meinung nach, um demokratiefeindlichen Einstellungen und diskriminierenden Verhalten in der Arbeitswelt entgegenwirken?

Da gibt es eine ganze Reihe von Möglichkeiten. Im Wahljahr 2024 positionierten sich einige Unternehmen öffentlich gegen die extreme Rechte und viele Firmen versuchen, auch intern für Antidiskriminierung zu sensibilisieren. Zum Beispiel formulieren sie Leitbilder oder schließen mit dem Betriebsrat entsprechende Betriebsvereinbarungen ab. Diese Positionierungen sind wichtig. Entscheidend ist jedoch, dass Unternehmen auch ihre Verantwortung bei der Gestaltung innerbetrieblicher Beziehungen wahrnehmen und dazu beitragen, dass Beschäftigte im Betrieb demokratische Alltagserfahrungen machen können: Lassen sie Mitbestimmung durch Gewerkschaften und Betriebsräte zu und können aushalten, dass es dabei auch zu Reibungen kommt? Ermöglichen Sie, dass Beschäftigte ihr praktisches Wissen in die Gestaltung von Arbeitsprozessen einbringen? Ermöglichen Sie politische Bildung im Betrieb?

Sehr sinnvoll finde ich in diesem Zusammenhang auch den Vorschlag von einer Demokratiezeit, bei der Beschäftigte 1 Stunde pro Woche freigestellt werden, um sich zu beteiligen und Fragen der Betriebspolitik debattieren zu können.

Auch Betriebsräte und Gewerkschaften können zu demokratischen Alltagserfahrungen beitragen, indem sie transparent und beteiligungsorientiert vorgehen. Resilienter gegen extrem-rechte Politisierung oder Diskriminierung macht aber insbesondere die Stärkung des Interessensbewusstseins und der Solidarität zwischen Beschäftigten verschiedener Hintergründe, das zeigen eine Reihe von Studien[2]. Daher ist es wichtig, dass Gewerkschaften und Betriebsräte Interessen konsequent vertreten und gleichzeitig ihr gesellschaftspolitisches Mandat wahrnehmen. Ermächtigung der Beschäftigten und demokratische Bewusstseinsbildung sind nicht voneinander zu trennen.

 

3. Welche Herausforderungen zeigen sich bei der Demokratisierung von Arbeit? Welche Hürden gilt es, zu bewältigen?

Die Demokratisierung von Arbeit passiert im Rahmen des Interessenskonflikts und der ungleich verteilten Macht zwischen Kapital und Arbeit und zudem in einem Wirtschaftssystem mit Wachstumsdruck. Durch Marktimperative und das Direktionsrecht der Geschäftsführung, welche in letzter Instanz über unternehmerische Entscheidungen wie Investitionen verfügen kann, sind Demokratisierungsprozessen klare Grenzen gesetzt. Das birgt die Gefahr, dass Beteiligung zu Pseudopartizipation ohne reale Gestaltungsmöglichkeiten wird, welche unter Beschäftigten Frustrationen und die Enttäuschung über Demokratie verstärken kann. Die aktuellen Debatten über eine Reform und Ausweitung der Mitbestimmung in Unternehmen und Betrieben sind aus meiner Sicht zu begrüßen, gerade angesichts der erheblichen Transformationsherausforderungen. Nehmen wir das Beispiel Autoindustrie: Warum soll der Betriebsrat nicht mitentscheiden dürfen, ob Werke ins Ausland verlagert und Lohnkosten gespart werden, um mit überholter klimaschädlicher Technologie noch Geld zu verdienen? Oder ob man frühzeitig auf nachhaltigere Produkte umsattelt und auch Geld in die Hand nimmt, um Beschäftigte dafür zu qualifizieren? Viele Herausforderungen einer Demokratisierung der Arbeit, das führen uns die Aufgaben einer sozial-ökologischen Transformation vor Augen, sind im betrieblichen Rahmen nicht zu klären. Darüber hinaus sind auch andere gesellschaftliche Gruppen betroffen und beteiligt. Die Demokratisierung der Arbeit führt uns perspektivisch zum Nachdenken über Wirtschaftsdemokratie und ist somit auch eine politische Frage.

 

4. Welche Konsequenzen and Anforderungen ergeben sich daraus für die berufliche Bildung?

Unsere Forschung zeigt, dass Demokratieförderung in der Arbeitswelt eng mit der Demokratisierung der Arbeit verbunden ist. Für die berufliche Bildung ergibt sich angesichts der Interessensgegensätze in der Arbeitswelt ein Spannungsfeld, das nicht leicht zu bewältigen ist: Einerseits muss die berufliche Bildung mit einer funktionalen Ausbildung (junge) Menschen ‚employable‘ machen. Wenn (junge) Menschen in der beruflichen Bildung aber nicht zu reinen Arbeitskraft-Behältern erzogen, sondern befähigt werden sollen, als Bürger*innen im Betrieb zu handeln, ergeben sich daraus weitere Aufgaben: Diese würde ich zunächst darin sehen, ein Verständnis des Betriebs als politischem Ort zu vermitteln. Der Betrieb ist zum einen eine Arena, in der Gesellschaftspolitik verhandelt wird und er ist zum anderen selbst eine inhärent politische Institution, in der Interessenskonflikte ausgehandelt werden und Macht- und Herrschaftsbeziehungen bestehen, die legitimiert und gestaltet werden müssen. Mir scheint es zentral, junge Menschen zu befähigen, ihre Interessen als Arbeitnehmer*innen zu formulieren und in größeren gesellschaftlichen Zusammenhängen verorten zu können – Oskar Negt hat das in einem Konzept für die Arbeiterbildung einmal „soziologische Phantasie“ genannt.

 

Angaben zur Person: Andre Schmidt ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Else-Frenkel-Brunswik-Institut für Demokratieforschung der Universität Leipzig und forscht zu Demokratie, Arbeitswelt und sozialem Konflikt.

 


[1] Vgl. Kiess et al. (2023): Arbeitswelt und Demokratie in Ostdeutschland. Erlebte Handlungsfähigkeit im Betrieb und (anti)demokratische Einstellungen, OBS-Arbeitspapier 64, Hrsg.: Otto Brenner Stiftung, Frankfurt am Main, abrufbar unter: https://www.otto-brenner-stiftung.de/arbeitswelt-und-demokratie-in-ostdeutschland/; Kiess/Schmidt (2024): The Political Spillover of Workplace Democratization: How Democratic Efficacy at the Workplace Contributes to Countering Right-Wing Extremist Attitudes in Germany. Economic and Industrial Democracy, abrufbar unter: https://journals.sagepub.com/doi/10.1177/0143831X241261241.

[2] Vgl. z.B.:  

  • Westheuser/Lux (2024): Klassenbewusstsein und Wahlentscheidung. Klasse als politischer Kompass? Berlin: Friedrich-Ebert-Stiftung.
  • Huke/Schmidt (2019): Zwischen solidarischem Universalismus und rassistischer Ausgrenzung. Zur betrieblichen Sozialintegration von Geflüchteten. In: PROKLA. Verlag Westfälisches Dampfboot, Heft 195, 49. Jg. 2019, Nr. 2, 259 – 276.
  • Kiess/Schmidt/Bose (2022): Konfliktwahrnehmungsmuster der abhängig Beschäftigten in Deutschland“. S. 271–302 in Autoritäre Dynamiken in unsicheren Zeiten, herausgegeben von O. Decker, J. Kiess, A. Heller, und E. Brähler. Gießen: Psychosozial-Verlag.
  • Detje/ Sauer (2023): Solidarität in den Krisen der Arbeitswelt: Aktualität kollektiver Widerstandserfahrungen. Hamburg: VSA: Verlag.
Copyright: Kurt Print

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