Was können wir von der neuen Bundesregierung erwarten?

Interview mit Gerd Wiegel vom Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB)

Inwiefern werden „unsere“ Themen – etwa die Rechte migrantischer Arbeitnehmer*innen, Antirassismus-Arbeit sowie die Förderung von Demokratie, Gleichbehandlung und Mitbestimmung im Koalitionsvertrag von CDU/CSU und SPD berücksichtigt? Darüber sprachen wir mit Gerd Wiegel, Referatsleiter Demokratie, Migrations- und Antirassismuspolitik beim Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB).

AKTIV: Es wird immer wieder betont, dass Deutschland ausländische Fachkräfte braucht. Gleichzeitig werden viele Migrant*innen abgeschoben, obwohl sie hier arbeiten. Wird die neue Regierung diese Ungerechtigkeit beenden?

Gerd Wiegel: Angesichts der Art, wie über das Thema Migration im Wahlkampf gesprochen wurde, sehe ich das eher nicht. Es gibt zwar ein klares Bekenntnis, weiterhin auch ausländische Fachkräfte ins Land zu holen. Aber das Potenzial der Menschen, die als Geflüchtete schon längst da sind, wird dabei kaum in den Blick genommen. Im Koalitionsvertrag wird ein Aufenthaltstitel für geduldete Geflüchtete in Aussicht gestellt, die in Arbeit sind. Die Bedingungen dafür sind jedoch gegenüber der aktuellen rechtlichen Lage leicht verschärft worden, was sich vor allem an den höheren Anforderungen an das Sprachniveau bei diesen Menschen zeigt. Der Aus- und Abgrenzungsdiskurs gegenüber Migrant*innen ist im Koalitionsvertrag sehr dominant. Und damit sendet die Regierung leider gerade kein Signal der vielzitierten Willkommenskultur.

Viele Menschen – egal ob aus dem Ausland oder hier geboren – arbeiten in schlecht bezahlten und unsicheren Jobs. Sie werden einfach ausgenutzt. Was wird die neue Bundesregierung tun, um diesen Missstand zu beheben?

Die neue Bundesregierung will ein Bundestariftreuegesetz auf den Weg bringen, mit dem öffentliche Aufträge nur an tarifgebundene Unternehmen vergeben werden können. Das ist auf jeden Fall ein Schritt in die richtige Richtung, denn Tarifverträge sind die beste Absicherung gegen schlechte Arbeitsverhältnisse. Auch die in Aussicht gestellte Erhöhung des Mindestlohns auf 15 Euro ist wichtig. Der Kampf gegen schlechte und ausbeuterische Arbeitsbedingungen ist uns als Gewerkschaften wichtig. Mit Arbeitsstrukturen wie „Faire Mobilität“ und „Faire Integration“ sind wir hier selbst sehr aktiv und beraten und unterstützen ausländische mobile Beschäftigte, die oft von sehr schlechten Arbeitsbedingungen betroffen sind. Auch hier hat die neue Regierung zugesagt, diese Arbeit weiter zu fördern.

In den Koalitionsverhandlungen ging es viel um Migration, aber wenig darum, was gegen Rassismus und Diskriminierung am Arbeitsplatz getan wird. Wird die neue Regierung dafür sorgen, dass migrantische Arbeitnehmer*innen besser geschützt werden?

Zwei dünne Sätze finden sich dazu im Koalitionsvertrag unter der Überschrift „AGG-Reform“: Man will den Diskriminierungsschutz „stärken und verbessern“. Wie das geschehen soll, wird nicht ausgeführt. Mit Blick auf Betrieb und Arbeitsplätze wird es vor allem auf uns als Gewerkschaften ankommen, hier klare Anforderungen zu formulieren und die Politik zu konkreten Maßnahmen zu drängen. Als DGB haben wir bis zum Jahresende noch die Koordination des Bundesprogramms „Betriebliche Demokratiekompetenz“ inne. Hier geht es vor allem um die Unterstützung von Betrieben und Beschäftigten, die Probleme mit unterschiedlichen Formen von Diskriminierung und Rassismus haben. Leider läuft das Programm Ende 2025 aus. Wir hätten uns gewünscht, dass die Arbeitswelt beim Thema Demokratie und Antirassismus stärker im Blick behalten wird, aber leider gibt es bei der Union ein starkes Misstrauen gegen die Demokratieprojekte, so dass es hier zu keiner Ausweitung oder längerfristigen Absicherung kommt.

Weltweit stehen Demokratie, Rechtsstaat und Menschenrechte unter Druck. Plant die neue Bundesregierung diese drei Säulen unseres Zusammenlebens vor (rechtsextremen) Angriffen besser zu schützen?

Das Bekenntnis zum Schutz der Demokratie vor rechtsextremen Angriffen findet sich im Koalitionsvertrag, und ich denke, es gibt bei der neuen Regierung schon das Bewusstsein, dass wir es mit einer fundamentalen Krise der Demokratie zu tun haben. Trotzdem bin ich skeptisch, was die konkreten Maßnahmen angeht. Dass das Programm „Demokratie leben!“ fortgeführt werden soll, ist gut. Aber wir wissen nicht, welche Mittel dafür zur Verfügung gestellt werden. Andere bewährte Demokratieprogramme, gerade auch mit Schwerpunkten in der Arbeitswelt, fallen weg. Und vor allem: eine langfristige Absicherung dieser Arbeit, etwa durch ein schon seit Jahren gefordertes Demokratiefördergesetz, fehlt völlig. Bei Menschenrechten und dem Rechtsstaat sehe ich gerade mit Blick auf die Weichenstellung im Bereich Migration eher Rück- als Fortschritte.

Letztlich wird es aber darauf ankommen, ob die neue Bundesregierung die Ursachen des rechten Aufschwungs wirklich angeht. Neben zahlreichen anderen Gründen liegen die auch in den Abstiegssorgen und Abstiegserfahrungen vieler Menschen nach mehr als 25 Jahren neoliberaler Politik. Hier liegt ein Grund für die massive Enttäuschung gegenüber etablierter Politik. Als Gewerkschaften haben wir hier eine zentrale Rolle, immer wieder auf gute Arbeit, auskömmliche Entlohnung, soziale Absicherung und letztlich eine Umverteilung von oben nach unten hinzuwirken.