Bei der Europawahl im Juni ist die AfD im Osten Deutschlands die stärkste Kraft geworden. Vor dem Hintergrund der anstehenden Landtagswahlen in Brandenburg, Sachsen und Thüringen im September haben wir den Ministerpräsidenten der Länder drei Fragen zu ihrem Engagement gegen Rechtsextremismus und für die Demokratie gestellt.
Herr Ministerpräsident Woidke, aktuelle Umfragen zeigen die AfD knapp vor der SPD als stärkste Fraktion im nächsten Brandenburger Landtag. Sehen Sie den Wirtschaftsstandort und damit Arbeitsplätze in Brandenburg mit einer starken AfD gefährdet?
Dietmar Woidke (SPD), Ministerpräsident von Brandenburg: Hass, Demagogie und Spaltung bedrohen den Zusammenhalt, den Wohlstand und die Entwicklung unseres Landes. Brandenburg ist bei der wirtschaftlichen Entwicklung ganz vorn im bundesweiten Vergleich. Wir sind attraktiv, und deswegen ziehen die Menschen zu uns. Um diesen Weg weiterzugehen und für die Menschen in unserem Land die guten Lebensbedingungen zu halten und weiter zu verbessern, brauchen wir eine weltoffene, demokratische Gesellschaft. Ich freue mich deshalb sehr, dass sich über 500 Organisationen, darunter viele größere und kleinere Unternehmen der Initiative „Brandenburg zeigt Haltung!“ angeschlossen haben.
Herr Ministerpräsident Ramelow, die Kommunal- und Europawahlen im Juni haben gezeigt, dass die AfD trotz aller Skandale eine stabile Wählerschaft in Thüringen hat. Mit Bernd Höcke tritt die AfD mit einem Faschisten als Spitzenkandidat bei den Landtagswahlen an. Die aktuellen Umfragen zeigen die AfD als stärkste Fraktion im nächsten Landtag. Was sind die Ursachen?
Bodo Ramelow (Die Linke), Ministerpräsident von Thüringen: Politische Kräfte, die Heilsversprechen machen, dabei Gruppen von Menschen gegeneinander ausspielen und alle anderen Parteien, aber auch die Arbeit der Medien und der Gerichte nur noch verächtlich machen, sind eine Realität, mit der wir auch in Thüringen umgehen. Ich sehe es als meine Aufgabe, im Landtagswahlkampf diejenigen, die nicht die AfD wählen würden, weiter zu stärken. Ich werde für stabile Mehrheiten kämpfen und gegen eine Normalisierung von Faschismus im Alltag. Deshalb rede ich weniger über die 30 Prozent AfD und mehr über die 70 Prozent, die den Rechtsstaat verteidigen. Die werden sich nach dem Wahltag auch in Thüringen einigen müssen.
Herr Ministerpräsident Kretschmer, aktuelle Umfragen zeigen die AfD knapp vor der CDU als stärkste Fraktion im nächsten Sächsischen Landtag. Sehen Sie den Wirtschaftsstandort und damit Arbeitsplätze in Sachsen mit einer starken AfD gefährdet?
Michael Kretschmer (CDU), Ministerpräsident von Sachsen: Was unsere Demokratie und unser Zusammenleben ausmacht und stärkt, ist der faire und an der Sache orientierte Dialog, die Suche nach Lösungen und Kompromissen. Das ist manchmal mühsam, aber es ist der richtige Weg. Dann gibt es jene, denen es nicht um Lösungen geht, die stattdessen Ängste schüren und Hass säen. Wir erleben eine zunehmende Radikalisierung in der AfD. Der Verfassungsschutz hat all dies schon seit einiger Zeit im Blick. Es ist ganz klar: Äußerungen und Wortmeldungen, die Hass, eine Polarisierung der Gesellschaft und am Ende sogar Gewalt erzeugen, sind nicht geeignet, für ein friedliches und gutes Miteinander zu sorgen. Dieser Kurs ist nicht überzeugend – und er ist natürlich auch nicht gut für den Wirtschaftsstandort. Der Wohlstand von Sachsen und den neuen Bundesländern, den wir 1990 angefangen haben aufzubauen, beruht auf Demokratie und Freiheit. Das ist der richtige Weg.
Laut der Jahresbilanz des Verbandes der Beratungsstellen für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt (VBRG e. V.) sind die Zahlen rechter Vorfälle und Straftaten weiter angestiegen. Welche Maßnahmen treffen Sie, um Bürger*innen vor digitaler und physischer Gewalt zu schützen?
Ramelow: Wir haben gerade unweit des Landtags den Gedenkort für die Opfer der Morde und Bombenanschläge der Terrorgruppe NSU eingeweiht. Ihre Namen und die Taten sollen nicht in Vergessenheit geraten, denn die Täter kamen aus Thüringen. Es ist bis heute unverständlich, wie die Opferfamilien damals alleine gelassen, stigmatisiert und mit falschen Beschuldigungen gedemütigt wurden. Untersuchungsausschüsse und Gerichtsverfahren haben längst nicht alle Fragen beantwortet, und auch unser Gedenkort kann nicht wiedergutmachen, was die Angehörigen erleiden mussten. Deshalb wird bei allem, was der Rechtsstaat leistet, was Strafverfolgungs- und Ermittlungsbehörden oder Beratungsstellen leisten, wichtig bleiben, dass die Zivilgesellschaft achtsam ist. Hass und Hetze werden nicht regieren, wenn die Mehrheit laut wird, sich einmischt und Grenzüberschreitungen nicht hinnimmt.
Kretschmer: Radikaler Populismus, der verschiedene Menschengruppen gegeneinander ausspielt, ist eine wesentliche Ursache für Gewalt. Wir stellen uns dem entschieden entgegen. Es ist ganz wichtig, dass der Staat klare Kante zeigt. Wir haben deshalb in der zu Ende gehenden Legislatur im Freistaat Sachsen Polizei und Justiz weiter gestärkt und im Übrigen auch ein „Gesamtkonzept gegen Rechtsextremismus“ auf den Weg gebracht. Über die Landesstrategie „Allianz Sichere Sächsische Kommunen“ werden zugleich bereits seit 2019 sächsische Kommunen durch zahlreiche Unterstützungsangebote beim Auf- und Ausbau ihrer kommunalen Präventionsstrukturen begleitet. Ein weiterer wichtiger Punkt ist politische Bildung. Klar ist auch: Der Kampf um die Demokratie muss aus der Mitte der Gesellschaft kommen. Das ist das beste Mittel gegen Extremismus in jeder Form.
Woidke: Nur einige Beispiele: Wir haben Polizei, Verfassungsschutz und Justiz verstärkt und speziell dafür sensibilisiert sowie den Verfassungstreue-Check für Beamt*innen eingeführt. Wir haben eine Zentralstelle zur Bekämpfung von Hasskriminalität geschaffen sowie ein Online-Meldeportal für Amts- und Mandatsträger, die Opfer von Hass und Hetze geworden sind, eingerichtet. Hass, Hetze und Gewalt sind inakzeptabel und der Rechtsstaat muss dagegen mit aller Konsequenz vorgehen. Genauso wichtig ist aber eine starke Zivilgesellschaft. Deswegen unterstützen wir diejenigen, die sich in Städten und Dörfern, in Vereinen und Organisationen für eine vielfältige Gesellschaft einsetzen. Hier ist das „Tolerante Brandenburg“ mit seinen 52 Partnern vom ADAC über Wirtschaft, Gewerkschaften und Kirchen bis zum Imkerverband unser Flaggschiff. Mit der Gründung bereits im Jahr 1998 war es bundesweit das erste Handlungskonzept einer Landesregierung gegen Rechtsextremismus. Mittlerweile haben wir ein Netzwerk aus spezialisierten Trägern, die Schulen, Vereine, aber auch Institutionen und Kommunalpolitik berät. Es wirkt auch präventiv und sensibilisiert Lokalpolitiker, Schulen oder auch staatliche Einrichtungen für sich anbahnende Konfliktlagen.
„Demokratie verteidigen“ heißt es in fast jeder Rede auf Parteitagen und Kundgebungen. Ist es nicht ein Zeichen für das Versagen der Politik, dass das “Demokratiefördergesetz“ nach Jahren der Diskussion immer noch nicht verabschiedet wurde?
Kretschmer: Für mich ist nicht das innerhalb der Koalition in Berlin umstrittene Gesetzesvorhaben der springende Punkt. Demokratie fördern und verteidigen heißt nicht zuletzt, dass erkannte Probleme und Aufgaben in unserem Land tatsächlich auch gelöst werden. Die tiefe Skepsis und auch der vielerorts anzutreffende Frust haben damit zu tun, dass die aktuelle Bundesregierung die Dinge, die die Menschen bewegt, nicht ernst genug nimmt, nicht mit ihnen redet und nicht mit den Bürgern gemeinsam Probleme löst. Vor allem das sollte angepackt werden.
Woidke: Ja, es ist ärgerlich. Auf der anderen Seite hilft ein Gesetz alleine ja nicht weiter, wenn es nicht gelebt wird. Es braucht also vor allem den politischen Willen, Zivilgesellschaft verlässlich zu unterstützen und mit ihr als Partner auf Augenhöhe zusammenzuarbeiten. In Brandenburg machen wir das seit nunmehr fast 30 Jahren auch ohne Gesetz, einfach, weil wir es wichtig finden!
Ramelow: Demokratieprojekte, -vereine und -initiativen warten dringend auf eine Einigung der Bundesregierung. Das Gesetz könnte ihnen eine langfristige Förderung ermöglichen und damit mehr Planungssicherheit geben. Ein gesetzlicher Auftrag zur Stärkung der Demokratie, der politischen Bildung, zur Prävention von Extremismus und gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit sowie zur Gestaltung von gesellschaftlicher Vielfalt und Teilhabe würde die Projekte gut ergänzen, die Thüringen selbst verantwortet. Dazu zählen u.a. Landesprogramme und -wettbewerbe wie „Demokratie & Schule“, „Jugend debattiert“ oder Kooperationsvereinbarungen wie die Juniorwahl zur Europa- und Landtagswahl 2024 oder zur Etablierung von Lernen durch Engagement in Thüringen.