„Migrantinnen sind stark und kämpferisch“

Im Gespräch: Rebecca Liebig (ver.di) und Ulrike Laux (IG BAU)

Vielfalt sei die Stärke der Gewerkschaften hören wir, wenn es dort um das Thema Migration geht. Doch wie ist es um Gleichbehandlung und Chancengleichheit in der Arbeitswelt heute bestellt? Wir haben mit zwei Spitzenfrauen der deutschen Gewerkschaftsbewegung über bisherige Erfolge und aktuelle Herausforderungen gesprochen.

Lasst uns doch den Finger gleich in die Wunde legen: Gibt es Ungleichheiten in der Tarifstruktur?

Rebecca: Auf den ersten Blick gibt es keine Unterschiede. Dort, wo eine Tarifbindung vorliegt, sind migrantische Beschäftigte natürlich auch in den Tarifvertrag eingebunden. Wenn man sich aber die Beschäftigtenstruktur anschaut, sieht man häufig, dass viele eingewanderte Kolleg*innen eher in den unteren Lohngruppen zu finden sind. Sie arbeiten ebenso häufiger in Befristungen und unterhalb ihrer eigentlichen Qualifikation. Gleichzeitig kommen sie seltener in den Genuss betrieblicher Weiterbildungsprogramme und interner Förderung. Das ist gerade vor dem Hintergrund der Transformation und Digitalisierung ein großes Problem, weil die Kolleg*innen, die den größten Bedarf an Weiterbildung haben, oftmals nicht angesprochen und gefördert werden. Zum anderen arbeiten Migrant*innen überdurchschnittlich häufiger in nicht tarifgebundenen Unternehmen.

Ulrike: In unseren Branchen sieht es ähnlich aus. Grundsätzlich gibt es in der Tarifstruktur keine Diskriminierung, Entgeltgruppen beziehen sich auf Tätigkeiten und Qualifikationen. Eine klare Diskriminierung ergibt sich aber dadurch, dass Frauen schlechter eingruppiert oder nicht höhergestuft werden. Auch sind in den höher qualifizierten Jobs seltener Menschen mit Migrationsgeschichte zu finden. In der Gebäudereinigung beispielsweise ist meist bei der Objektleitung Schluss, und die Managementebene ist typischerweise männlich und deutsch. In den anderen Branchen ist das ähnlich. Hier müsste eine gezielte Förderung in den Betrieben stattfinden, etwa durch ein duales Studium. Das müssen wir als Gewerkschaften anstoßen.

Welche Rolle spielen migrantische Gewerkschafterinnen in den tariflichen Auseinandersetzungen der letzten Zeit?

Ulrike: Im Gebäudereiniger-Handwerk oder Dienstleistungsbereich etwa ist der Frauenanteil hoch, und unsere migrantischen Kolleginnen sind immer an erster Stelle, wenn es um Aktionen im Rahmen von Tarifauseinandersetzungen geht. Sie engagieren sich auch gewerkschaftlich. In den vergangenen Jahren haben wir in den Betrieben gezielt Menschen mit Migrationsgeschichte angesprochen, indem wir unsere Flugblätter und andere Informationen in bis zu 20 Sprachen übersetzt haben. Außerdem haben wir über unsere Frauenarbeit direkte Kontakte in migrantische Gruppen und treten dort auf. So konnten wir schon viele Frauen aktivieren und ermutigen, sich in Betriebsräte wählen zu lassen und in gewerkschaftlichen Gremien einzubringen. Außerdem haben wir ein Qualifizierungsprogramm speziell für Frauen, die sich in der IG BAU engagieren wollen.

Rebecca: Wenn ich in Tarifrunden unterwegs bin oder auch bei anderen Gelegenheiten, sehe ich gerade viele Kolleginnen und Kollegen mit erkennbarer Migrationsgeschichte, die besonders stark und kämpferisch in den verschiedenen Tarifrunden unterwegs sind. Sie führen oftmals die Spitze an, führen Bewegungen an, sie sind unverzichtbare Multiplikator*innen und auch immer häufiger in Tarifkommissionen vertreten. Meine Beobachtung ist, dass während der Streiks neue Verbindungen zwischen Beschäftigten entstehen, die sich im stressigen Arbeitsalltag häufig kaum gegenseitig wahrnehmen. Die Kraft der Auseinandersetzung liegt nicht nur im sichtbaren Streik, sondern auch in der gemeinsam verbrachten Zeit; in den Begegnungen, die es ermöglichen, über den Tellerrand des eigenen Bereichs zu sehen.

Wenn ihr in den eigenen Reihen schaut, was sind die größten Erfolge auf dem Weg zu Gewerkschaften der Vielfalt?

Rebecca: Es ist viel passiert, aber wir sind noch längst nicht da, wo wir hinkommen möchten. ver.di ist eine Einwanderungsgewerkschaft, und dies gilt es weiter auszubauen. Wir wollen auch mehr Menschen mit Migrationsgeschichte als aktive Mitglieder, die ihre Zukunft selbst in die Hand nehmen. Bezogen auf die Stärkung der Vielfalt bei den Hauptamtlichen haben wir schon viel geschafft, aber auch das ist natürlich noch ausbaufähig. Wir wollen jetzt ein Empowerment-Programm für Menschen mit Migrationsgeschichte an den Start bringen, um sie dafür weiter zu qualifizieren, in der Gewerkschaft, in Interessensvertretungen und Tarif-kommissionen Verantwortung zu übernehmen. Jeder Mensch ist ein Experte, und wir wollen das Engagement der Kolleg*innen auf Dauer stärken.

Ulrike: Zwei Erfolge möchte ich vor allem nennen. Zum einen bieten wir mit der IGay BAU queeren Menschen einen Raum, sich auszutauschen und gegenseitig zu unterstützen. In den vergangenen Jahren haben immer mehr Mitglieder sich getraut, sich zu outen. Sie wissen, dass sie sich in Konfliktfällen oder bei Angriffen auf die Solidarität ihrer Kolleg:innen in der IG BAU verlassen können. Zum anderen haben wir es zum Beispiel im Gebäudereiniger-Handwerk durch gezielte Ansprache geschafft, dass inzwischen viele Menschen mit Migrationsgeschichte, dabei vorwiegend Frauen, in Gremien wie der Bundesfachgruppe oder Bundestarifkommission aktiv sind. Wir gestalten die Arbeit in den Gremien so, dass zum Beispiel auf Sprachbarrieren Rücksicht genommen werden kann. Die Vielfalt der Hintergründe und Meinungen und die Lebendigkeit der Diskussionen bereichern uns ungemein und führen zu tollen Ergebnissen. So bestimmen unsere migrantischen Mitglieder die Arbeit der IG BAU maßgeblich mit.

 

Rebecca Liebig, Mitglied im ver.di-Bundesvorstand (Foto: Bildarchiv DRV Bund Nürnberg) und Ulrike Laux, Bundesvorstandsmitglied IG BAU (r.)