„Antisemitismus ist kein Problem der Vergangenheit“

Interview mit Luis Engelhardt, Projektleiter bei der Initiative „Zusammen1“

Antisemitismus offenbart sich immer wieder in verschiedenen Formen von Diskriminierung – leider auch im Sport. Insbesondere im Kontext des Fußballs fehlt oft die kritische Auseinandersetzung mit antisemitischen Verhaltensweisen. Die Initiative „Zusammen1“ des jüdischen Turn- und Sportverbands MAKKABI Deutschland e.V. hat sich daher zum Ziel gesetzt, diesem vielschichtigen Problem entgegenzutreten und den organisierten Sport nachhaltig gegen Antisemitismus zu stärken. Projektleiter Luis Engelhardt zeigt im Gespräch auf, wie sich Antisemitismus im Sport äußert, welche Handlungsstrategien es dagegen gibt und wie Maßnahmen der Initiative aussehen.

Gelbe Hand: Luis, Antisemitismus ist auch heute leider noch weit verbreitet – sowohl in der Gesellschaft als auch im Sport. Wie äußern sich antisemitische Denkmuster und Erscheinungsformen dort?

Luis Engelhardt: Im Sport begegnet uns leider in aller Regelmäßigkeit die ganze Bandbreite antisemitischer Grundeinstellungen und Vorurteilsstrukturen. Das reicht von der abwertenden Nutzung des Wortes „Jude“ über antisemitisch aufgeladene Einstellungsmuster und Zuschreibungen von Einfluss und Macht bis hin zum israelbezogenen Antisemitismus. Wichtig ist mir an dieser Stelle zu betonen, dass Antisemitismus im Sport kein exklusives Problem von jüdischen Sportvereinen ist, sondern auch ohne die Anwesenheit von Jüdinnen und Juden virulent ist. Wir beobachten ganz offen judenfeindliche Handlungen und Aussagen wie Vergasungssprüche ebenso wie latente oder auch indirekt geäußerte Anfeindungen und Ausgrenzungen. Die Kontinuität des Antisemitismus in seinen wandelbaren Erscheinungsformen macht insbesondere vor dem Fußball keinen Halt.

Wie kann ich als Betroffene*r oder Außenstehende*r auf antisemitische Vorfälle reagieren?

Es gibt kein eindimensionales Schema, das auf alle Vorfälle anzuwenden ist. Am wichtigsten ist es zunächst, dass Antisemitismus auch als solcher erkannt und benannt wird. Daher ist auch eine gewisse thematische Sensibilisierung für das Problemfeld von großer Bedeutung. Wir sollten immer widersprechen, dokumentieren und Betroffenen zur Seite springen. Dazu gehört es natürlich auch, dass man Allianzen bildet und sich nicht unnötig selbst in Gefahr bringt. Das Melden antisemitischer Vorfälle ist extrem wichtig, um Antisemitismus sichtbar zu machen, das Dunkelfeld zu erhellen und einen politischen Handlungsdruck zu erzeugen. Letztendlich ist jede Situation unterschiedlich und wir sollten vor allem das Gesagte problematisieren und nicht die Person dahinter verteufeln – nur so können alle direkt oder auch indirekt beteiligten Personen daraus lernen.

Welche Handlungsstrategien können die Akteur*innen im Sport entwickeln, um antisemitischen Verhaltensweisen präventiv entgegenzuwirken?

Verschiedene Studien zeigen, dass die Zustimmungswerte zu antisemitisch aufgeladenen Vorurteilen in Deutschland bei etwa 25 Prozent liegen und damit leider sehr hoch sind. Daher sollten sich alle Vereine und Verbände präventiv mit dem Problemfeld auseinandersetzen und auf wahrscheinlich kaum zu vermeidende Vorfälle vorbereiten. Diese Notwendigkeit übersteigt erinnerungskulturelle Maßnahmen und die kritische Auseinandersetzung mit der Geschichte des eigenen Vereins in der Zeit des Nationalsozialismus. Antisemitismus ist kein Problem der Vergangenheit. Deshalb muss es von wichtigen Multiplikator*innen in Vereinen ganz offen zum Thema gemacht werden. Dazu gehört auch die Annahme der Arbeitsdefinition von Antisemitismus der Internationalen Allianz zum Holocaustgedenken (IHRA). Dadurch können wir gemeinsam der Bagatellisierung und Marginalisierung des Problemfeldes entgegenwirken und auch in der Praxis eine wirksame Präventionsarbeit zum Standard machen.

Welche pädagogischen Maßnahmen und Konzepte hat die Initiative „Zusammen1“ dahingehend bereits entwickelt?

Wir haben bei MAKKABI Deutschland im Jahr 2020 im Rahmen des Bundesprogramms „Demokratie leben!“ ein neues Bildungs- und Präventionsprojekt zur Bekämpfung von Antisemitismus im Sport ins Leben gerufen. Wir forschen, entwickeln an die Forschungsergebnisse anknüpfende pädagogische Konzepte und bauen wirksame Regelstrukturen in Zusammenarbeit mit den Sportverbänden und Vereinen aus. Unser Projekt „Zusammen1“ ist Schnittstelle zwischen dem organisierten Sport und der antisemitismuskritischen Bildungsarbeit. Mittlerweile sind wir als zentrale Anlaufstelle für Antisemitismus im Sport angekommen und arbeiten beispielsweise im Fußball eng mit den Bundesligisten, dem DFB und der DFL zusammen. Besonders unser pädagogisches Fußballtraining zur Realisierung politischer Bildung auf dem Fußballplatz ist in Verbindung mit einem daran anschließenden interaktiven Workshop ein bewährtes Mittel, um für jüdisches Leben und gegen Antisemitismus zu sensibilisieren.