Arbeiterbewegung von rechts?

Dreitägige Konferenz in Jena zu Rechtspopulismus in der Arbeitswelt

„Ich hätte kein Problem damit, Buchenwald wieder aufzumachen, einen Stacheldraht ringsherum, die dort rein, wir dort draußen.“ Dies ist eine protokollierte Aussage eines Betriebsrates in Ostdeutschland im Zusammenhang mit der Flüchtlingsdebatte. „Das ist mit Sicherheit eine extreme Einzelmeinung, dennoch: es ist alarmierend“, sagt Prof. Klaus Dörre, der renommierte Soziologe und Arbeitsforscher der Universität in Jena.

Gemeinsam mit seinem Team führt Dörre momentan eine Einstellungsumfrage und Interviews unter Gewerkschafterinnen und Gewerkschaftern sowie Betriebsrätinnen und Betriebsräten in den neuen Bundesländern durch. „Es ist eine Minderheit in den Gewerkschaften, die mit Rechtspopulisten symphatisiert. Aber was wir sehen, ist, dass es für manche wenige Betriebsräte und Gewerkschafter keinen Widerspruch darstellt, an einem Tag am gewerkschaftlichen Streik teilzunehmen, und am nächsten den Bus zur Pegida-Demo zu organisieren. In dieser Offenheit hat das eine neue Qualität“, erklärt Prof. Dörre. Diese neue Dimension war für den Professor der Grund und Auslöser, das Phänomen rechtspopulistischer, rassistischer Einstellungsmuster in der Arbeitswelt in einer Konferenz aufzugreifen. „Arbeiterbewegung von rechts?“ lautete der Titel der dreitägigen Konferenz des Postwachstumskollegs der Uni Jena und der Landeszentrale für politische Bildung Thüringen vom 22. bis 24. Juni in Jena.

Zahlreiche nationale und internationale Expertinnen und Experten aus Wissenschaft, Politik und Gewerkschaft beleuchteten das Thema, suchten nach Ursachen und Antworten. Mit dabei war auch Hans-Jürgen Urban, geschäftsführendes Vorstandsmitglied der IG Metall. Er sprach den Input für das Panel zu „Gewerkschaften und Rechtspopulismus“. Urban benannte die existierenden Tendenzen, ordnete sie aber auch ein: „Offen rechtspopulistische Aktivitäten in den Betrieben sind die absolute Ausnahme, als Massenorganisation haben wir jedoch auch Mitglieder, deren Denken mit gewerkschaftlichen Wertorientierungen nicht kompatibel ist“, so Urban. Ursachen dafür sieht er vor allem in den sozialen Verwerfungen bedingt durch die neoliberale Politik der letzten Jahrzehnte: „Die zunehmende Neoliberalisierung und der Abbau sozialstaatlicher Leistungen haben zu einer enormen sozialen Polarisierung geführt, die politisch kaum thematisiert wird und ganz reale Abstiegsängste zur Folge hat. Die Rechtspopulisten fangen diese Ängste mit ihren Scheinlösungen auf.“

Diese „Scheinlösungen“ der Rechtspopulisten aufzudecken, zu entlarven, das sei auch Aufgabe der Gewerkschaften, forderte Annelie Buntenbach, DGB-Bundesvorstandsmitglied und als Diskutantin auf dem Abschlusspodium der Konferenz vertreten: „Gerade wir Gewerkschaften sind gefordert, nicht zuzulassen, dass die AfD sich ein soziales Mäntelchen umhängt. Sie versucht damit, die sogenannten ‚kleinen Leute‘ zu erreichen, die sie als Zielgruppe ausgemacht hat, aber weder mit ihrem Programm noch in ihrem Handeln hat sie Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern etwas zu bieten, da wimmelt es von Widersprüchen und neoliberalen Glaubenssätzen.“ Was dann oftmals passiere, sei eine Kulturalisierung der im Kern sozialen Problemlagen: „Bei den Rechtspopulisten wird jede soziale Frage bei genauerem Hinsehen zu einer ethnischen bzw. ‚völkischen‘. Das einzige, was wirklich konkret ist, ist ihre Verachtung und Abwehr von Geflüchteten und allen, die nicht zu den Ureinwohnern Deutschlands gehören. Wir müssen dieser rassistische Menschenverachtung und dem ständigen Versuch der gesellschaftlichen Spaltung klar entgegentreten, in den Betrieben und überall im öffentlichen Raum.“

Prof. Dörre spricht den Gewerkschaften daher eine große demokratiepolitische Verantwortung zu: „Das sind die einzigen zivilgesellschaftlichen Organisationen, die diese Menschen noch erreichen.“ Daher sei es wichtig, behutsam vorzugehen, Menschen zurückzugewinnen und zu überzeugen, aber auch klare Grenzen zu setzen.

Prof. Dörres Ursachenanalyse stellt ebenfalls soziale Fehlentwicklungen, die Einkommenseinbußen in den letzten 20 Jahren und die Prekarisierung, an den Anfang: „Es gibt Menschen, die fühlen sich von der Entwicklung abgekoppelt. Da ist das Gefühl einer kollektiven Abwertung und Benachteiligung.“ Häufig handele es sich um eine verdrängte Klassenproblematik: „Arbeiterinnen und Arbeiter verorten sich selbst in der Mitte der Gesellschaft, sehen aber ihre Arbeitsleistung nicht angemessen gewürdigt.“ Je weniger sie in den Verteilungskämpfen zwischen oben und unten herausholen könnten, desto eher neigten sie dazu, diesen Konflikt in einen zwischen innen und außen umzudeuten, wie bei der Flüchtlingsfrage. „Da setzen dann die Ressentiments ein. Da geht es weniger um den konkreten Arbeitsplatz, als um einen generellen Statuserhalt. Man wertet andere, etwa angehörige islamischer Religionsgemeinschaften, symbolisch ab, um sich selbst aufzuwerten. Dieser ‚Rassismus ohne Rassen‘ wird von Rechtspopulisten gezielt geschürt.“ Dabei seien Flüchtlinge nur eine Projektionsfläche, die austauschbar sei, so der Soziologe. Im Kern, so scheint es, liegt die Lösung auch in der Frage nach sozialer Gerechtigkeit und dem Empfinden „gehört“ zu werden.

Ein Punkt, den auch Hans- Jürgen Urban für zentral hält: „Wir müssen klare Kante zeigen: Rassismus und Hetzerei werden bei uns nicht geduldet. Gleichzeitig müssen wir aber den über die wachsende Ungerechtigkeit Empörten ein politisches Angebot machen. Es geht darum, populistische Scheinlösungen als solche erkennbar zu machen und gemeinsam solidarische Antworten zu entwickeln – denn wer wirklich etwas tun will für mehr Gerechtigkeit, der ist bei Gewerkschaften gut und unter Rassisten und Nationalisten denkbar schlecht aufgehoben.“ Annelie Buntenbach sieht hier die Politik, aber auch die Gewerkschaften in der Pflicht: „Unsere Demokratie braucht mehr echte Beteiligung und lösungsbezogene Diskussionen, in die die Betroffenen ernsthaft einbezogen werden, über konkrete und grundsätzliche gesellschaftliche und auch betriebliche Fragen. Da muss die Politik sich gründlich ändern, aber da müssen wir uns auch als Gewerkschaften weiterentwickeln.“

Um Menschen zu motivieren, sich - wieder - am demokratischen Prozess zu beteiligen, brauche es mehr inklusive, demokratische politische Bildung, die soziale Ungleichheit als solche auch thematisiert und sich am Alltagsbewusstsein der Menschen orientiert, fordert Prof. Dörre. „Grundsätzlich müssen wir wieder die Gemeinsamkeiten von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern in den Vordergrund stellen und die Solidarität stärken. Anstatt einer Arbeiterbewegung von rechts braucht es den Entwurf einer besseren Gesellschaft – von links.“