Gegen das Vergessen

Gelbe-Hand-Thema: Gewerkschaftliches Erinnern im Hier und Jetzt

Der 9. November ist ein Schicksalstag der deutschen Geschichte. 1938 war dieser Tag einer der dunkelsten Momente dieses Landes. Nie wieder darf so etwas wie die Reichspogromnacht, bei der Mitbürger jüdischen Glaubens systematisch misshandelt, verfolgt und vertrieben wurden, geschehen. Daran zu erinnern, ist gesellschaftliche und auch gewerkschaftliche Verantwortung. Dieser Verantwortung werden der DGB und die Mitgliedsgewerkschaften auf vielfältige Weise gerecht. Sie zeichnen damit ein facettenreiches Bild lebendiger Erinnerungskultur.

In der Berliner Sophienkirche wurde am 9. November die Ausstellung des Fotografen Luigi Toscano, „Gegen das Vergessen", eröffnet. Ein Jahr lang traf Toscano dafür Verfolgte des Nationalsozialismus, die heute in Deutschland, den USA, der Ukraine, Israel und Russland leben. Dabei entstanden mehr als 200 Porträtfotos. Der DGB und seine Mitgliedsgewerkschaften GEW, ver.di, IG Metall und IG BCE unterstützen die Ausstellung in Berlin.

Reiner Hoffmann, DGB-Vorsitzender, sagte bei der Eröffnung: „Wir alle tragen eine gemeinsame Verantwortung, die Erinnerung lebendig zu halten und uns gegen das Vergessen zu engagieren. ‚Gegen das Vergessen‘ gibt der Geschichte des Holocaust ein Gesicht. Statt abstrakter Zahlen und Fakten werden die Opfer des Nationalsozialismus in den Vordergrund gerückt. Erinnerung ist nicht nur der Blick in die Vergangenheit. Erinnerung richtet unseren Blick auch auf das Hier und Jetzt. Antisemitismus, Rassismus und Rechtsextremismus dürfen keinen Platz in unserer Gesellschaft haben."

Erinnerung wach zu halten, das ist auch das Anliegen der DGB-Jugend in Bayern, die seit 1952 anlässlich der Novemberpogrome in einer Gedenkfeier in der Gedenkstätte des ehemaligen NS-Konzentrationslagers in Dachau an die Opfer erinnert. Mit dem diesjährigen Motto „Erinnerung muss leben" unterstrich die Gewerkschaftsjugend die Bedeutung von Erinnerungsarbeit für die Gestaltung einer menschenwürdigen Zukunft.

Hauptredner in diesem Jahr war Jürgen Wechsler, Bezirksleiter der IG Metall Bayern. Jürgen Wechsler betonte in seiner Rede die Bedeutung der Erinnerungskultur: „Die Schicksale von über sechs Millionen jüdischen Opfern des Holocaust verpflichten uns dazu, auch folgenden Generationen den Blick zu schärfen. Nicht gedenken, nicht erinnern, heißt vergessen. Schlimmer noch: Es bedeutet, gleichgültig zu sein gegenüber dem, was geschehen ist. Das Erinnern daran muss uns aber helfen, die richtige Sprache zu finden, wenn alte und neue Nazis aktuelle Entwicklungen dazu nutzen, ihr menschenverachtendes Gedankengut wieder hoffähig zu machen."

Die IG BCE Ortsgruppe Düren erinnerte im Rahmen ihres seit einem Jahr laufenden Projektes „Erinnerungskultur" an die Schicksale der NS-Zwangsarbeiter. Am 4. November hat der Kölner Künstler Gunter Demnig auf Initiative der IG BCE-Ortsgruppe zwei Stolpersteine in Gedenken an zwei ermordete polnische Zwangsarbeiter aus dem Lager Arnoldsweiler verlegt. „Die Stolpersteine sollen zukünftig mahnen, hinzuschauen, wenn Ungerechtes geschieht, und Zivilcourage zu zeigen für Freiheit, Demokratie und Menschenrechte", sagte der Vorsitzende der Ortsgruppe Düren, Heinrich Wirtz in seiner Ansprache.

Das Erinnern an damals ist auch Verpflichtung zur Aussöhnung in der heutigen Zeit. Umso wichtiger erscheint dabei die internationale Austauscharbeit mit Israel. Eine 20-köpfige Delegation der DGB-Jugend zusammen mit Kolleginnen und Kollegen aus Österreich war Ende Oktober in Israel. Ein zentraler Moment der Fahrt war der Besuch des Holocaust-Gedenkortes Yad Vashem. In vielen Gesprächen mit jüdischen Israelis wurden auch persönliche Eindrücke vermittelt. Delegationsleiter war Martin Ströhmeier, DGB-Bildungswerk BUND: „Nie wieder Auschwitz, diese Losung ist seit jeher eine Verpflichtung. Wir müssen das Gedenken hoch halten. Wenn es mit Zeitzeugen schwieriger wird, dann müssen wir neue Formen des Erinnerns praktizieren." Dies sei wichtig, da es in Deutschland vermehrt israelbezogenen Antisemitismus gebe. „Da ist viel Unkenntnis dabei. Durch Austausch und Dialog kann Unkenntnis abgebaut und die Vielfältigkeit aufgezeigt werden. Einfache Lösungen funktionieren da nicht", erklärt Ströhmeier.

Auch die DGB-Jugend NRW pflegt seit den 1960er Jahren eine enge Partnerschaft mit der israelischen Gewerkschaft Histadrut Tel-Aviv Yaffo. Symbolisch wurde diese Partnerschaft in Düsseldorf bei einem Besuch israelischer Gewerkschafter erneuert. Dabei wurde eine Urkunde unterzeichnet, die noch einmal den gewerkschaftlichen Grundsatz bekräftigt, Antisemitismus in jeder Form zu bekämpfen und Solidarität mit den israelischen Gewerkschaftskolleginnen und –kollegen zu leben. „Mit dem Israel-Austausch will die DGB-Jugend ihrer historischen Verantwortung gerecht werden. Es ist ein kleiner, aber wichtiger Baustein gegen Antisemitismus", heißt es in der Erklärung, die von Seiten der DGB-Jugend NRW von Eric Schley, ihrem Vorsitzenden, unterzeichnet wurde.

Dies ist nur ein kleiner Ausschnitt gewerkschaftlicher Erinnerungsarbeit, der aber deutlich macht, wie aus dem gewerkschaftlichen Erinnern an Gestern, eine Haltung für das Hier und Jetzt erwächst, die jeder Form von Faschismus und Antisemitismus entgegentritt.

Reiner Hoffmann, DGB-Vorsitzender (Foto: DGB/Annette Hartmetz)