„Meine Motivation sind die Menschen“

Ein Gespräch mit Said Etris Hashemi von der Initiative 19. Februar Hanau

Said Etris Hashemi hat den rassistischen Anschlag am 19. Februar 2020 in Hanau schwerverletzt überlebt. Sein Bruder – und unser IGBCE-Kollege – Said Nesar wurde getötet. Neun junge Menschen starben an diesem Abend, weil sie einen Migrationshintergrund hatten. Ihre Angehörigen gründeten die Initiative 19. Februar. Wir sprachen mit Etris, der zwischenzeitlich IG Metall-Mitglied geworden ist, über sein Engagement und die Arbeit der Initiative. 

Etris, im Februar kommt dein Buch „Der Tag, an dem ich sterben sollte“ heraus – dein persönlicher Bericht eines Überlebenden. Wie geht es dir heute, vier Jahre nach dem Anschlag? 

Etris: Gesundheitlich bin ich fitter als vor vier Jahren. Psychisch geht es mir den Umständen entsprechend. Ich habe Sinn in dem gefunden, was ich mache, dass ich mich für andere Menschen einsetze. Das macht mir ein bisschen Hoffnung für die Zukunft.

Eine der ersten Forderungen der Initiative war das Schaffen eines Fonds für Opfer rassistisch motivierter Gewalt. Wie weit seid ihr mit der Forderung gekommen?

Die Forderung wurde umgesetzt, aber es war ein langer Weg und wir mussten viel Druck aufbauen. Wir sprachen mit Politiker*innen aus Berlin, Hessen sowie Thüringen, wo bereits ein Fonds für NSU-Opfer existiert. Wir haben versucht klarzumachen, dass es nicht nur eine Forderung ist, sondern dass die Angehörigen diese Unterstützung brauchen. Viele der Familien haben den Hauptverdiener verloren und müssen nicht nur die Trauer bewältigen, sondern auch schauen, wie sie über die Runden kommen. Am Ende ist es kein Fonds für Opfer von rassistisch motivierter Gewalt, sondern aller Gewalttaten geworden. Er hilft den Familien, und das ist das Wichtigste. 

Ihr habt euch für einen Untersuchungsausschuss im Hessischen Landtag zum Hanauer Anschlag eingesetzt. Seit November liegt der Abschlussbericht vor. Hat er die erhoffte Aufklärung gebracht?

Wir haben zehn Fragen an den Ausschuss gestellt, die fast alle beantwortet wurden. Keiner stellt heute in Frage, dass es ein Versagen gab. Aber keiner übernimmt die Verantwortung. Manche Politiker*innen haben mit uns bis heute nicht gesprochen. Ohne Konsequenzen gibt es für uns keinen Abschlussbericht. 

Warum ist die Forderung nach Konsequenzen für euch so wichtig? 

Schon ein Kindergartenkind lernt: Wenn es Fehler gemacht hat, soll es darüber nachdenken, was es falsch gemacht hat und etwas an seinem Handeln ändern. Das Gleiche erwarten wir von der Politik und den Behörden. Sie müssen ihre Fehler aufarbeiten, damit so etwas nicht noch einmal passiert. Hanau darf sich nicht wiederholen. Stattdessen bleibt die Frage: Wären alle diese Fehler passiert, wenn es sich nicht um eine rassistische Tat gehandelt hätte?

Zu euren Forderungen gehört auch „Erinnern heißt verändern.“

Es war eine unserer Hauptforderungen, die Erinnerung aufrechtzuerhalten. Wir haben auch etwas Einzigartiges erreicht: Wir haben eine komplett neue Erinnerungskultur geschaffen. Wir wollten, dass nicht wieder über den Täter, sondern dass über die Opfer gesprochen wird. Hinter jedem Opfer steht eine Geschichte, jedes dieser Opfer hatte Ziele und Träume. Wir wollten zeigen, dass es ganz normale Leute aus der Mitte unserer Gesellschaft waren, die unschuldig aus dem Leben gerissen wurden, nur aufgrund ihres Aussehens.

Was sind aktuell die wichtigsten Projekte der Initiative 19. Februar?

Wir organisieren jeden Monat am 19. eine kleine Gedenkveranstaltung. Die Angehörigen sind sehr viel auf Podiumsdiskussionen bundesweit unterwegs. Wir haben das Hashtag #SayTheirNames zwar nicht erfunden, aber groß gemacht. Wir haben eine Webseite, die unter anderem T-Shirts und Hoodies verkauft, damit wir mit diesem Geld unsere Projekte finanzieren können. Wir haben eine Kunstausstellung und das Theaterstück „And now Hanau“, das in Rathäusern und Parlamenten aufgeführt wird. Also genau dort, wo Leute sitzen, die Entscheidungen für die Gesellschaft treffen. Damit sie sehen, wozu Rassismus und Hetze führen können. 

Die Lobbyarbeit spielt ebenfalls eine wichtige Rolle in eurer Initiative.

Ja, Ich kämpfe schon seit über einem Jahr dafür, dass es im Bundestag zu einer Expert*innen-Anhörung kommt. Ich werde dabei von der IG Metall stark unterstützt. Dieses Feld ist für mich neu, aber ich kann tatsächlich schon Erfolge vermelden: Wir wurden im Januar ins Justizministerium und ins Bundesministerium für Arbeit und Soziales eingeladen, um unsere Forderungen vorzustellen.

Wie kann man euch unterstützen?

Laut werden, an Hanau erinnern, mahnen, uns bei den Demonstrationen oder auf Social Media unterstützen. Und finanziell: Wir haben mehrere Spendenaufrufe auf betterplace.org.

Was ist deine persönliche Motivation, dich zu engagieren?

Meine Motivation sind die Menschen, denen ich begegnet bin. Wir haben ein Netzwerk aller Opfer-Initiativen aus Deutschland aufgebaut. Die Geschichten dieser Menschen reichen in die 80er-Jahre und es ist teilweise krass, was sie erlebt haben. Vor allem aber haben sie nicht diese Aufmerksamkeit bekommen wie wir in Hanau. Ich versuche mich vor allem für diese Menschen mit meiner Lobbyarbeit zu engagieren. Es motiviert mich, dass sie wissen, dass wir uns für ihre Anliegen einsetzen.

Mehr zur Initiative unter www.19feb-hanau.org  

Said Etris Hashemi