„Schutz vor Benachteiligung muss effektiver werden”

ver.di veranstaltet Gender Fachdialog zu Antidiskriminierung

„11 Jahre Antidiskriminierungsgesetz – Anforderungen an gelebte Vielfalt in der Arbeitswelt“ lautete der Titel des Fachdialogs, zu dem der Bereich Genderpolitik in Kooperation mit dem Referat Migrationspolitik am 07. Juli 2017 in die ver.di Bundesverwaltung einlud. Unterstützt wurde die von circa einhundert Teilnehmerinnen und Teilnehmern besuchte Veranstaltung vom Forum Politik und Gesellschaft der Friedrich-Ebert-Stiftung.

Dagmar König, Mitglied des ver.di Bundesvorstands, unter anderem für das Themengebiet der Migrationspolitik zuständig, verwies in ihrem Grußwort zu Beginn der Veranstaltung auf die Bedeutung der Frauenförderung für eine demokratische und geschlechtergerechte Gesellschaft: „Lasst uns an diese guten Beispiele anknüpfen und daran arbeiten, Diskriminierung jedweder Art aktiv anzugehen und für eine inklusive Arbeitswelt zu streiten. Das bleibt unser gewerkschaftliches Ziel und dafür brauchen wir entsprechende gesetzliche Grundlagen.“

Ein Schwerpunkt des Fachdialogs war die im Auftrag der Antidiskriminierungsstelle des Bundes (ADS) durchgeführte Evaluation, die die Wirkung und den Reformbedarf des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) anlässlich des zehnten Jahrestags des Inkrafttretens des Gesetzes untersuchte. Christine Lüders, Leiterin der ADS begrüßte die mit dem AGG verbundenen Entwicklungen: „Diskriminierung im Arbeitsleben ist heute klar geächtet und wird zunehmend offen thematisiert“. Die Einführung des AGG war ein Meilenstein“, sagte Lüders. „Jede und jeder Einzelne in Deutschland hat seitdem ein Recht auf Gleichbehandlung im Arbeitsleben und bei Alltagsgeschäften. Wenn Menschen dieses Recht durchsetzen wollen, sind die Hürden aber oft zu hoch. Der Schutz vor Benachteiligungen muss effektiver werden.“

Daran anknüpfend führte die an der Evaluation beteiligte Rechtsanwältin Micha Klapp aus, an welchen Stellen nachgesteuert werden müsse, um der Diskriminierung gerade im Arbeitsleben effektiver begegnen zu können. Dabei seien insbesondere drei Aspekte hervorzuheben.

Zunächst gelte es die Frist zur Geltendmachung von zwei auf sechs Monate verlängern. Derzeit müssen Menschen, die Diskriminierung erfahren, ihre Ansprüche auf Schadensersatz und/oder Entschädigung innerhalb von zwei Monaten schriftlich geltend machen. Die Beratungspraxis zeigt, dass daran viele Betroffene scheitern: Sie zögern mit der schwierigen Entscheidung, eine Diskriminierung öffentlich zu machen, oder sind nicht ausreichend über ihre Rechte informiert. Daher wäre eine Verlängerung der Frist auf sechs Monate hilfreich.

Darüberhinaus bedürfe es eines Klagerechts für Antidiskriminierungsverbände. Betroffene schrecken oft vor den Belastungen zurück, als alleinige Klägerin oder Kläger die Diskriminierungserfahrungen vor Gericht zu schildern und die Rechte durchsetzen. Für einen effektiven Rechtsschutz wäre es daher sinnvoll, die gesetzliche Stellung und die Befugnisse der Antidiskriminierungsverbände auszuweiten: durch eine sog. Prozessstandschaft und ein Verbandsklagerecht, so dass Verbände Prozesse für Betroffene führen können. In anderen Bereichen, etwa dem Umweltrecht, wird dies bereits erfolgreich praktiziert.

Letztlich müsse der Schutz auch bei Fremdpersonaleinsatz gesichert sein. Bisher wird beim Diskriminierungsschutz für Fremdpersonal rechtlich mit zweierlei Maß gemessen: Das AGG gilt nur bei „klassischer“ Leiharbeit, nicht aber bei vergleichbaren Situationen von Fremdpersonaleinsatz. Immer häufiger aber wird Fremdpersonal im Rahmen von Werk- oder Dienstverträgen in einem Betrieb eingesetzt. Im Verhältnis zum Betriebsinhaber besteht dann kein Schutz durch das AGG. Dieser fehlende Schutz betrifft vor allem Menschen im Niedriglohnbereich - in nächster Zeit damit voraussichtlich auch verstärkt Flüchtlinge, die in den Arbeitsmarkt einsteigen.

Am Nachmittag wurde mit Diversity-Expertinnen und -experten und Aktiven aus der betrieblichen und gewerkschaftlichen Praxis über die Herausforderung gesprochen, dem AGG mehr Leben einzuhauchen. Andreas Merx, Diversity-Trainer, sprach davon, dass es bei einer hohen Dunkelziffer von Fällen noch viel zu selten betrieblich Beschwerdestellen gäbe.

Hier anknüpfend stellte Erdogan Kaya, Vorsitzender des ver.di Bundesmigrationsausschuss fest, dass dies auch die Aufgabe der Gewerkschaften sei. Schließlich sei es auch über tarifvertragliche Regelungen möglich, entsprechende Anlaufstellen einzurichten, um den Antidiskriminierungsschutz betrieblich zu verankern. In der Diskussion teilten viele Teilnehmerinnen und Teilnehmer die Meinung, dass es einen intensivierten innergewerkschaftlichen Austausch brauche, um dem mit dem AGG verbundenen gesellschaftlichen Ziel, dem Gleichbehandlungsgrundsatz des Grundgesetzes, zur Durchsetzung zu verhelfen.

Mehr Informationen zum Thema und Impressionen zur Veranstaltung unter: https://arbeitsmarkt-und-sozialpolitik.verdi.de/ueber-uns/nachrichten/++co++abd4ca48-653c-11e7-86a9-525400ff2b0e 

Dagmar König, Mitglied im ver.di-Bundesvorstand (Foto: Danny Prusseit)