Solidarität im Niedergang

Gelbe-Hand-Thema „Europa“: Gewerkschaften in Polen

von Peter Sawicki, Moderator und Redakteur beim DLF, u.a. mit Themenschwerpunkt Polen

 

In kaum einem EU-Mitgliedsland sind Gewerkschaften derart schwach wie in Polen. Eine Folge daraus: Der Fokus liegt auf den Kernaufgaben, progressive Gesellschaftspolitik gerät ins Hintertreffen.

Als vergangenen Juli Zehntausende Gegner der Justizreformen der national-konservativen PiS-Regierung die Straßen in Polens Großstädten dominierten, fiel auch der Name Piotr Duda. Schämen solle er sich, skandierten Redner – für seine Unterstützung einer Partei, die die mühsam erkämpfte Demokratie in Polen aushöhle.

Duda, nicht verwandt mit dem gleichnamigen Staatspräsidenten, ist seit 2010 Chef beim größten Gewerkschaftsbund Solidarnosc (deutsch: Solidarität). Dessen PiS-Nähe ist in Polen kein Geheimnis. Piotr Duda ist ein enger Vertrauter von Parteichef Jaroslaw Kaczynski, weltanschaulich sehen sich die zumeist katholisch-konservativen Mitglieder im Einklang mit der Partei. Dazu gehört auch die Unterstützung der restriktiven Warschauer Asylpolitik. Bis heute weigert sich die Regierung, Kriegsflüchtlinge aus dem Nahen Osten ins Land zu lassen, allen Brüsseler Sanktionsszenarien zum Trotz. Besonders im Wahlkampf 2015 griff die PiS dabei mitunter zu Slogans, die die Grenze zum Rassismus offen überschritten – als etwa Jaroslaw Kaczynski behauptete, Flüchtlinge würden „Krankheiten und Parasiten“ ins Land tragen.

Dieser Art von Rhetorik hat sich Solidarnosc-Chef Duda zwar nicht schuldig gemacht. Dass er von einer EU-weiten Verteilung Asylsuchender nicht viel hält, hat er dennoch mehrfach betont. Eine Haltung, die gesellschaftlich bislang konsensfähig ist. Auf weitgehend taube Ohren stieß deshalb ein Appell des zweitgrößten polnischen Gewerkschaftsbundes OPZZ, sich einer liberalen Asylpolitik zumindest einen Spalt weit zu öffnen. Differenzen haben sich zwischen Solidarnosc und OPZZ (wie auch dem drittgrößten Bund Forum ZZ) ebenso bei den Justizreformen offenbart. Die Exekutive werde künftig zu viel Einfluss auch auf die polnischen Arbeitsgerichte haben, warnt etwa OPZZ-Berater Piotr Szumlewicz. Ähnliches war von der Solidarnosc-Führung bislang nicht zu vernehmen.

Die mitunter scharfe Konkurrenz der Bünde untereinander legt eine Grundschwäche der polnischen Gewerkschaften bloß. Deren enormer Pluralismus (ca. 25.000 Einzelgewerkschaften gibt es in Polen) verhindert einen effektiveren Einfluss. Hinzu kommt eine geringe Mitgliedsquote: Nur gut 12 % der polnischen Beschäftigten gehören einer Gewerkschaft an. In der EU zählt das Land damit zu den Schlusslichtern. Die Grundlage dafür wurde schon ab 1989 gelegt. Mit dem Wechsel zur Marktwirtschaft hielten viele arbeitgeberfreundliche Elemente Einzug, die bis heute tief verankert sind. Dazu gehört eine Vielzahl prekärer Arbeitsverträge, deren Inhaber sich oft nicht gewerkschaftlich engagieren dürfen. Die Solidarnosc brachte diese Reformen als Teil der ersten postkommunistischen Regierungen mit auf den Weg.

Trotz ihres historischen Beitrags zum politischen Wandel in Polen schwand damit das Ansehen der Solidarnosc und der Gewerkschaften an sich. Hinzu kam eine zunehmende Individualisierung der Gesellschaft. 2010 konstatierte der langjährige Solidarnosc-Funktionär Jerzy Borowczak: „Es gibt keine Solidarität mehr.“ Diese Erkenntnis war also im doppelten Wortsinn zu verstehen. Die in großen Teilen arbeitnehmerfeindliche Politik von Donald Tusk und der liberalkonservativen "Bürgerplattform" hat im Folgenden zum PiS-Wahlerfolg 2015 mitbeigetragen. Die PiS-Regierung setzte danach einige sozialpolitische Versprechen um (mehr Kindergeld, höherer Mindestlohn, Herabsenkung des Renteneintrittsalters) - das allerdings, erklärt Bastian Sendhardt vom Warschauer Büro der der Friedrich-Ebert-Stiftung, sei eine Geste direkt an die Wählerklientel gewesen, und weniger eine Reaktion auf gewerkschaftliche Forderungen. Soll heißen: Aktuell verfügt die Solidarnosc zwar mit der PiS über einen Partner in der Regierung. Größerer Einfluss der Gewerkschaften geht damit aber nicht einher. Zu sehen war das etwa bei der Bildungsreform der Regierung, die die Rückkehr zu einem autoritären Unterrichtsstil bedeuten könnte – und die gegen den Widerstand der vergleichsweise starken Lehrergewerkschaft ZNP durchgedrückt wurde. Für die polnischen Gewerkschaften bedeutet das: Auf absehbare Zeit wird der Fokus auf den Kernaufgaben liegen. Progressive gesellschaftspolitische Akzente dürften weiterhin kürzer treten.

By fdecomite [CC BY 2.0 (http://creativecommons.org/licenses/by/2.0)], via Wikimedia Commonssowie