„Wenn wir vereint vorankommen, gewinnen wir alle!“

Interview mit Staatsministerin Reem Alabali-Radovan

Reem Alabali-Radovan (SPD) ist Staatsministerin für Migration, Flüchtlinge und Integration sowie Beauftragte der Bundesregierung für Antirassismus. Die 32-Jährige wurde als Kind irakischer Eltern in Moskau geboren und ist 1996 mit ihrer Familie nach Deutschland gekommen. Seit 2021 ist die Politikwissenschaftlerin Mitglied des deutschen Bundestags. Wir sprachen mit ihr über die vielen Facetten einer wirksamen Bekämpfung von Rassismus.

Gelbe Hand: Rassismus sei Alltag in Deutschland, lesen wir in der aktuellen Studie „Rassistische Realitäten“ (1) des Deutschen Zentrums für Integrations- und Migrationsforschung (DeZIM). Die Autor*innen betonen auch, dass es nachhaltige Strukturen für die Bekämpfung von Rassismus brauche. Welche Schlüsse ziehen Sie daraus für Ihre Arbeit?

Reem Alabali-Radovan: Wir müssen an die Strukturen ran! Rassismus fängt im Alltag mit Blicken und Sprüchen im Bus an, aber es geht auch um die Denkmuster, unfaire Bewerbungsverfahren und verkrustete Strukturen in Behörden. Das gehe ich in der Bundesregierung zum Beispiel mit einer Diversitätsstrategie an, für faire Personalgewinnung und -entwicklung im öffentlichen Dienst. Der Staat muss hier Vorbild sein. Ebenso stärken wir deutschlandweit die Antirassismus-Arbeit. Endlich kommt jetzt das Demokratiefördergesetz – dafür hat sich auch die Gelbe Hand eingesetzt, damit wir die Arbeit der Engagierten für unseren Zusammenhalt langfristig und nachhaltig stärken.

2020 hat Bundespräsident Steinmeier gesagt: „Es reicht nicht aus, ‚kein Rassist‘ zu sein. Wir müssen Antirassisten sein!“ Wenn wir uns alle als solche bezeichnen sollen, warum brauchen wir noch eine Beauftragte für Antirassismus?

Reem Alabali-Radovan: Wir brauchen mehr Unterstützung für die Betroffenen. Es geht um Respekt und Augenhöhe. Dazu gehören auch mehr Präventionsarbeit, politische Bildung und laute Sichtbarkeit gegen Rassismus. Wir müssen uns viel stärker mit Rassismus in unserer Gesellschaft  auseinandersetzen, mehr sensibilisieren. Das ist eine Generationen-Aufgabe und unverzichtbar für ein modernes, solidarisches Deutschland im 21. Jahrhundert! Das steht auf meiner Agenda, dafür arbeite ich in der Bundesregierung.

Wenn wir über Rassismus sprechen, müssen wir immer die digitale Kommunikation mitdenken. Wo sehen Sie den Staat in der Pflicht, Bürger*innen vor Hass und Hetze im Netz zu schützen?

Reem Alabali-Radovan: Der Staat muss online und offline den respektvollen Meinungsaustausch schützen. Wer im Netz beleidigt und bedroht, muss Konsequenzen spüren. Darum das Netzwerkdurchsetzungsgesetz, darum die Verpflichtung für Anbieter großer Netzwerke, strafbare Inhalte nicht nur zu löschen, sondern dem Bundeskriminalamt zu melden. Wir arbeiten am Gesetz gegen digitale Gewalt, damit Betroffene umfassende Beratung finden und ihre Auskunftsrechte gestärkt werden. Zudem fördere ich Initiativen, die online gegen den Hass kämpfen und Menschen mit Einwanderungsgeschichte im Umgang mit Hate Speech empowern.

Als Gelbe Hand sagen wir, dass ein gutes Betriebsklima nicht bedeutet, dass wir Probleme mit Rassismus unter den Teppich kehren, sondern diese im Vorfeld identifizieren und verhindern. Welche Bedeutung haben gewerkschaftlich Aktive sowie Betriebs- oder Personalräte für eine diskriminierungsfreie Arbeitswelt?

Reem Alabali-Radovan: Das ist unglaublich wichtig! Ihr steht präventiv und korrektiv ein für Gleichberechtigung und Chancengleichheit in den Branchen und Betrieben, auch in der Öffentlichkeit mit bemerkenswerten, starken Aktionen. Damit Herkunft kein Schicksal ist, weder die soziale noch die geografische.

Laut dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) ist Diskriminierung in der Arbeitswelt verboten. Staatliche Stellen sind zudem an das Diskriminierungsverbot des Grundgesetzes gebunden. Statistiken der Antidiskriminierungsstelle des Bundes oder Berichte von Betroffenen lassen jedoch an der Wirkung dieser Verbote zweifeln. Wo sehen Sie Handlungsbedarf?

Reem Alabali-Radovan: Vor allem bei der Durchsetzung dieser Rechte. Wir werden das AGG jetzt evaluieren, um Schutzlücken zu schließen, den Rechtsschutz zu verbessern und den Anwendungsbereich auszuweiten. Die Durchsetzung braucht aber auch ein entsprechendes Umfeld, für das wir uns alle gemeinsam einsetzen müssen. Es kann nicht sein, dass Menschen am Arbeits- oder Wohnungsmarkt tatsächlich immer noch strukturell diskriminiert werden.

In Reden haben Sie mehrfach betont, dass der Staat keine Rechtsextremen in seinen Reihen dulden darf. Welche Maßnahmen plant die Bundesregierung, um angesichts vieler Skandale – etwa in den Spezialeinheiten der Bundeswehr – gegen rechte Netzwerke vorzugehen?

Reem Alabali-Radovan: Die Bundesregierung kämpft entschlossen gegen Verfassungsfeinde, auch innerhalb der Bundesverwaltung. Der Aktionsplan gegen Rechtsextremismus sieht genau das vor. Mit Änderung des Bundesdisziplinargesetzes werden wir Verfahren beschleunigen und die bestehenden Instrumente im Beamtenrecht stärken. Verfassungsfeinde müssen konsequent aus dem Staatsdienst entfernt werden.

Wie schaffen wir den Wandel zu einer rassismusbekämpfenden und – gerne können Sie uns Träumer*innen nennen – zu einer rassismusfreien Gesellschaft?

Reem Alabali-Radovan: Der Wandel wird gelingen, wenn wir schaffen, dass die Vielfalt unserer Gesellschaft nicht nur Realität, sondern endlich überall auch Normalität wird. In Politik und Parteien, Medien, Unternehmen und Gewerkschaften. Dazu müssen wir die Schubladen öffnen, die die Menschen einteilen in sogenannte Migrationshintergründe, in Ost und West, mit und ohne Handicap. Das trennt, was zusammengehört. Wenn wir da vereint vorankommen, gewinnen wir alle.

 

(1) DeZIM (2022): Rassistische Realitäten: Wie setzt sich Deutschland mit Rassismus auseinander? Auftaktstudie zum Nationalen Diskriminierungs- und Rassismusmonitor (NaDiRa), Berlin. www.rassismusmonitor.de

 

 

 

 

 

 

 

 

Staatsministerin Reem Alabali-Radovan, Foto: Sascha Krautz